Jens Bojaryn

Das Tempo bestimmen

Fünf Stunden werde das Abenteuer dauern, stand auf dem Rundenzettel. Nun sitzen wir seit drei Stunden hier und noch immer haben die Charaktere nicht zusammengefunden. Haarklein muss noch ausgespielt werden, wie die Elfe auf dem Markt Kräuter kauft und der Zwerg sich mit einem Bettler streitet - während der Rest der Runde nichts zu tun hat. Eigentlich ist es ja gut gemacht: Der Spielleiter versteht sich auf stimmungsvolle Beschreibungen und spielt den Bettler mit großer Hingabe. Trotzdem seufze ich. Mir ist langweilig. In vier Stunden beginnt ein interessanter Workshop und ich weiß schon jetzt, dass ich ihn verpassen werde, wenn ich hier weiterspiele.

So oder ähnlich habe ich das oft erlebt. Nicht nur auf Cons, obwohl es da besonders ärgerlich ist. Viele Spielleiter kümmern sich nicht im mindesten um die Dynamik in ihrer Runde, versuchen nicht, Einfluss auf das Spieltempo zu nehmen. Die Problematik ist ihnen nicht einmal bewusst.

Die Fähigkeit, das Tempo zu bestimmen, kann den Unterschied zwischen einem durchschnittlichen und einem guten Spielleiter ausmachen. Ich bemühe mich in meinen Runden schon länger darum und scheitere trotzdem gelegentlich - zuletzt sogar spektakulär. Wenn man nicht zu sehr railroaden möchte, kann man die Spieler ja nicht zwingen, mal schneller zu machen.

Immerhin versuche ich es. Zum Beispiel so:

Abenteuerdesign

Schon beim Entwurf des Abenteuers kann man alles falsch machen. Mein Abenteuer ist für einen Con? Ich weiß, dass meine Runde gerne trödelt? Dann sorge ich dafür, dass der Plot keine lange, ausführliche Planungsphase erfordert. Ich setze wenn möglich auf kleine Module, die ich in variabler Reihenfolge einbauen kann.

Uhr im Blick halten

Das ist eigentlich trivial, aber viele Spielleiter haben keine Uhr in ihrer Nähe. Ich schaue vor einer Szene auf die Uhr. Dann überlege ich mir, wie lange die Szene wahrscheinlich dauern wird. Wenn sie planmäßig verläuft und trotzdem schon doppelt so viel Zeit in Anspruch nimmt, ist es vermutlich Zeit für einen Schnitt. Regelmäßiges Auf-die-Uhr-schauen schult außerdem das innere Zeitgefühl während des Leitens.

Harte Schnitte

Bei einem Reiseabenteuer darf man durchaus mal mehrere Tage "vorspulen". Ein Marktbesuch kann mit einem Würfelwurf abgekürzt werden, wenn der interessante Teil sonst aus Zeitgründen wegfallen müsste. In manchen Gruppen sind solche Cuts schwer durchzusetzen, da sich Spieler dann bevormundet fühlen. Ich erkläre dann kurz, warum ich den Zeitsprung mache und gebe jedem Spieler die Gelegenheit, ein bis zwei Sätze über die Erlebnisse seines Charakters in der Zwischenzeit zu erzählen. Wenn sich daraus eine offene Frage ergibt ("Mein Elf hat jeden Tag nach Kräutern gesucht. Hat er was gefunden?"), kläre ich das möglichst mit einer einzelnen Eigenschaftsprobe.

Entschleunigen nicht vergessen

Dinge auszuspielen gehört dazu. Es ist nichts verkehrtes daran, auch mal einen Marktbesuch oder einen Tavernenabend in allen Details auszubreiten. Das hilft den Spielern dabei, in die Welt einzutauchen und gibt ihnen eine gute Gelegenheit, ihre Charaktere und deren Verhältnis zueinander herauszustellen. Ich bemühe mich, nichts wegzuschneiden, wenn es nicht nötig ist.

Auf die Spieler achten

Spieler sagen selten direkt, dass sie sich langweilen. Ich schaue gerne zu Spielern, die gerade nicht an einer Szene beteiligt sind. Wenn jemand nicht bei der Sache ist, kann es daran liegen, dass das Tempo zu behäbig ist. Wenn ich den Spielern ständig ins Wort fallen muss, um mit Gewalt zur nächsten Szene überzuleiten, wünschen sie sich dagegen eine Entschleunigung.

Mit den Spielern reden

Die Spieler sind mitverantwortlich für einen gelungenen Spielabend. Es ist kein schlechter Stil, gelegentlich in die Metaebene zu wechseln und Dinge zu sagen wie "lass uns das mal abkürzen, da kommt noch was spannenderes". Auch plotrelevante Absprachen sind nicht nur legitim, sondern oft gut:

"Denkt euch mal einen Grund aus, warum sich eure Charaktere an diesem Abend alle in der Taverne befinden!"
Zack, und fünf Minuten später können alle zusammen losspielen, ohne, dass sich jemand bevormundet fühlt.

"Ich dachte eigentlich, der Auftrag wäre für deinen Charakter interessant. Lass uns mal kurz klären, was Mr. Johnson ihm mindestens anbieten müsste, damit er zusagt. Oder fällt dir vielleicht ein Grund ein, warum dein Charakter trotzdem auf das Angebot eingehen könnte?"
Das ist vielleicht nicht elegant. Aber es bewahrt uns vor einem nervigen hin und her. Wenn die Zeit knapp ist, wäre die Folge sonst ein stark zusammengekürztes Finale.

Einen gemeinsamen Stil finden

In manchen Runden geht Charakterspiel über alles. Der Spielleiter ist dort allenfalls Stichpunktgeber. Jedes noch so kleine Gespräch zwischen SCs muss ausgespielt werden, selbst wenn dadurch der Plot ausfällt. Die Gruppe will das so. Beschleunigunsgversuche des Spielleiters werden zurückgewiesen. Hier nützen alle Techniken nichts: Das richtige Tempo hängt letzten Endes vom Spielstil ab.